Gedanken zur Jahreslosung 2022

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Gedanken zur Jahreslosung 2022

„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Johannes 6,37

Die Geschichte vom verlorenen Sohn, der als Versager aus dem Schweinestall nach Hause zurückkehrt und von seinem Vater mit Freuden tränen in die Arme geschlossen wird, ist wohl einer der eindrücklichsten und bekanntesten Texte der ganzen Bibel. Ich habe sofort Rembrandts berühmtes Gemälde vor Augen, wie der Sohn abgerissen und ausgehungert vor seinem Vater kniet und dieser ihm schützend die Hände auf den Rücken legt. Was Jesus hier bildlich über Gott aussagt und was er im  Johannesevangelium seinen Zuhörern verspricht, hat er auch selbst gelebt. Und zwar eindrücklich. Wo er auch hingeht, wird er von Menschen belagert, die ihn um Hilfe bitten oder seinen Rat suchen. Oft heißt es, dass er sich zurückzieht, um in Ruhe zu beten und ein wenig allein zu sein. Doch die Leute laufen ihm auch noch in die tiefste Einöde nach. Immer wieder – so übersetzt Luther eindrücklich – „jammert es ihn“, und er widmet sich trotz Müdigkeit allen, die zu ihm kommen.

Das ist erst einmal ausgesprochen tröstlich zu hören. Mit seinem ganzen Reden und Handeln hat Jesus vorgelebt, dass Gott niemanden abweist. Er ist jemand, zu dem man jederzeit kommen kann, auch dann, wenn man das Gefühl hat, man würde GottesAufmerksamkeit oder Liebe nicht verdienen. Diese Grunderkenntnis ist wichtig und wertvoll, und man kann sie sich gar nicht oft genug vor Augen führen. Manchmal übersehen wir, wie grenzwertig dieses Verhalten Jesu oft von anderen empfunden wurde. Jesus war provokant und hat mit seinem gelebten „niemanden abweisen“ ständig Ärger verursacht. Unter den Menschen, die er nicht abwies, waren nicht nur Arme und Kranke, die unverschuldet am Rande der Gesellschaft standen, sondern auch Leute, die von der Gesellschaft aus ethischen und moralischen Gründen tief verachtet wurden. Man erinnere sich an Zachäus, der oft als sympathischer kleiner Kerl daherkommt, der aber seine Macht ausgenutzt hat, um sich zu bereichern und andere damit zu ruinieren. Das erinnert mehr an Betrugsaffären wie Wirecard oder an illegale Maskendeals. Oder man denke an den Verbrecher, der mit Jesus am Kreuz hing und dem er das Paradies versprach. Vielleicht war er unschuldig verurteilt, aber vielleicht auch nicht. Vielleicht war er tatsächlich ein Mörder. Thematisiert wird es nicht – weil es Jesus darauf nicht ankommt.

Wie heiß Jesu Aufforderung in der Glaubenspraxis werden kann, hat sich beispielhaft in der Phase nach dem Zusammenbruch der DDR gezeigt. Nachdem niemand ihn aufnehmen wollte, gewährte damals die Kirche dem flüchtenden Erich Honecker Asyl. Pfarrer Uwe Holmer nahm ihn und seine Frau Margot in seinem Pfarrhaus in Lobetal auf. Er war damit kein Einzelfall. Auch andere Pfarrerinnen und Pfarrer gaben ehemaligen SED-Funktionären eine temporäre Zuflucht. Die Entscheidung war umstritten – auch innerhalb der Kirche und fiel auch den Asylgebern nicht leicht. Etwa 3.000 Beschwerdebriefe erreichten damals Lobetal. Doch die Leitung der Hoffnungstaler Anstalten entschied sich in Erinnerung an den Satz aus dem Vaterunser „wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ für eine Aufnahme.

Wenn wir Jesu Haltung ernst nehmen und als Christ*innen leben möchten, wird sie uns immer wieder an unsere Grenzen führen. Diese Grenzen mögen individuell unterschiedlich sein, je nachdem welchen Menschen wir instinktiv oder aus Überzeugung am ehesten ablehnend gegenüberstehen. Doch gerade dort zeigt sich, wie ernst wir es mit der Nachfolge nehmen und ob es uns gelingt, diese Grenzen bewusst zu überschreiten – auch auf die Gefahr hin, uns damit der Kritik anderer auszusetzen. Auf eines möchte ich zum Schluss noch hinweisen. Jesus sagte: „wer zu mir kommt“ und nicht „zu wem ich gehe“. Sie kamen bewusst zu ihm, aus einem ehrlichen, persönlichen Interesse. Voraussetzung für seine Annahme war die Bereitschaft des anderen zu einer echten Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen Lebensweise. Jesus hat sie dann keineswegs bestätigt in ihrem gemeinschaftsschädlichen Verhalten. Er hat sie damit konfrontiert und sie  herausgefordert, sich zu ändern.

Er hat aber auch einen Rahmen geschaffen, durch den das für sie möglich wurde. Mit Menschen, denen eine solche Haltung fehlte, hat er zwar diskutiert, sie aber schnell durchschaut und ihre wahren Motive offengelegt. Auch damit ist er häufig angeeckt.

Nehmen wir Jesu Zusage in der Jahreslosung als Ermutigung und als Herausforderung für unser christliches Handeln. Läuten wir ein spannendes neues Jahr für uns ein.

Ihre Pfarrerin Ramona Rohnstock

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