Geleitwort zum Monatsspruch Juni 2025

Geleitwort zum Monatsspruch Juni 2025

Geleitwort zum Monatsspruch Juni 2025

# Vorworte des Gemeindebriefes

Geleitwort zum Monatsspruch Juni 2025

Eine Box kommt selten allein 

Mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf. (Apg. 10,28, Monatsspruch Juni 2025) 

Liebe Leserin, lieber Leser, 


ich puzzle leidenschaftlich gern, am liebsten 500 oder 1000 Teile. Aber hin und wieder mag ich auch größere Projekte. Wenn man ein 5000er Puzzle angeht, dann ist man erstmal mindestens drei Stunden mit dem Sortieren der Teile beschäftigt. Ich breite dann eine Unmenge an größeren und kleinen Boxen um mich herum aus und versuche, Kategorien zu bilden nach Farben oder Strukturen – eine echte Geduldsprobe, aber essentiell. Bei so vielen Teilen muss man einfach Kategorien bilden, sonst ist die Aufgabe viel zu überfordernd und unübersichtlich. 

Was ich beim Puzzeln mache, macht auch mein Gehirn jeden Tag. Es sortiert die immense Informationsflut, die auf mich einprasselt und bildet Kategorien wie „Möbel“ oder „Nahrung“. Diese Einordnung spart Arbeitsspeicher, der für wichtigere kognitive Prozesse genutzt werden kann: eine überlebens wichtige Strategie. Ich muss mich erstmal um die Details von jedem Teil nicht weiter kümmern und kann mich gezielt der einen Box widmen. 

Das ist zwar auf den ersten Blick sehr hilfreich, aber auch problematisch. Die Kategorisierung eines Objekts bedeutet auch, dass ich seine individuellen Eigenschaften weniger wahrnehme. Stattdessen beachte ich primär die Eigenschaften, die ich der jeweiligen Kategorie zugeordnet habe. Der Facettenreichtum geht verloren. Bei einem Objekt aus der Kategorie „Möbel“ ist das vielleicht schade, aber nicht weiter dramatisch.  

Höchst problematisch ist allerdings, dass unsere Gehirne dasselbe mit Menschen machen. Wir sortieren Menschen in Boxen. Leider auch oft in die falschen. Und wir neigen dann dazu, nur noch die Eigenschaften zu sehen, die auf dem Label unserer jeweiligen Box stehen. Aber diese Boxen bilden nun mal niemals den Facettenreichtum eines ganzen Menschen ab. 

Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass alle Menschen diese impliziten Boxen in ihren Köpfen haben, auch wenn sie sie weder wollen noch ihnen zustimmen. Es ist ein unbewusster Prozess, der mühsam ins Bewusstsein geholt und gegen den aktiv angegangen werden muss. Man kann Menschen aus Boxen herausholen, Boxen umlabeln und sogar zerstören. Aber das ist viel schwieriger, als sie hineinzustecken.  

Eine Geschichte aus dem Anfang des Christentums erzählt von einer solchen Box-Zerstörung. In Jaffa sitzt Petrus auf einem Dach. Er hat sein Leben lang gelernt: Menschen sind in die Boxen „unrein“ und „rein“ zu unterteilen. Will man in der „rein“-Box bleiben, darf man nicht mit einem Menschen aus der „unrein“-Box Umgang haben, ihn erst recht nicht berühren, sein Haus betreten oder sein Essen zu sich nehmen.  

Da startet Gott mit Petrus eine Radikalkur. Er tischt ihm eine Menge Essen aus der Kategorie „unrein“ auf, das er sein ganzes Leben lang nie angerührt hätte und befiehlt dem angeekelten Petrus, es sich schmecken zu lassen. Trotz der göttlichen Überredungskunst braucht es mehrere Anläufe, bis er sich überwinden kann.  

Aber als dann die Boxen zerstört sind, ist der Weg frei für eine Begegnung, die sonst nicht möglich gewesen wäre. Und auch für eine grundlegende Erkenntnis, die bis heute zu den christlichen Grundüberzeugungen gehört. Petrus sagt: Mir aber hat Gott gezeigt, dass man keinen Menschen unheilig oder unrein nennen darf. Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und Recht tut, der ist ihm angenehm.  

Gott hält nichts von unseren Menschenboxen. Sie sind ein ständiger Nährboden für Abgrenzung, Ablehnung und gegenseitige Verletzungen. Schließlich entstehen sogar gesellschaftliche Missstände und globale Konflikte. So gehört es zu unseren immerwährenden Aufgaben, unsere Boxen offenzulegen, umzusortieren und am besten gleich auszukippen. So kommen schließlich die schönsten, lange vermissten und ungeahnt passendsten Teile des ganzen Puzzles zum Vorschein. 


Ihre Pfarrerin Ramona Rohnstock

 

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